STUTTGART. Grüezi Donghua!
Es war bei der Turn-WM 1989 in der Schleyer-Halle. Der damals knapp 22-jährige Donghua, geboren in der Provinz Sichuan, hatte sich intensiv auf die Titelkämpfe vorbereitet. Als die Chinesen dann aber an die Geräte gingen, musste der Pauschenpferd-Spezialist als Ersatzmann zuschauen. Als Donghua Li Jahre später wieder das Podium in der Schleyer-Halle betrat, diesmal beim DTB-Pokal, tat er dies dennoch als amtierender Weltmeister. 1995 in Japan hatte er den Titel am Seitpferd erkämpft.
Donghua war als Siebenjähriger „eher durch Zufall“ zum Kunstturnen gekommen, weil sein damaliger Lehrer eine Turnriege aufbauen wollte. Schon vier Jahre später war der kleine Chinese im Provinzkader von Sichuan, weitere fünf Jahre später hatte er den Nationalkader erreicht.
Dann aber folgten Rückschläge. Als Siebzehnjähriger verunglückte Donghua beim Pferdsprung so schwer, dass ihm die Milz und die linke Niere entfernt werden mussten. Kaum genesen und wieder an den Geräten, rissen ihm beim Bodenturnen beide Achilles-sehnen. Aber diszipliniert und zäh kämpfte er sich zurück. Schon ein Jahr nach seiner schweren Fersenverletzung hatte sich der ehrgeizige Athlet aus Sichuan wieder an die Spitze gearbeitet: 1987 wurde er erstmals Chinesischer Meister am Seitpferd. Aber acht Monate vor den Sommerspielen von Seoul dann ein neuer Rückschlag. Beim Sturz vom Barren verstauchte sich Donghua zwei Halswirbel – der Traum von Olympia war ausgeträumt. Dafür aber lernte er im Juni des Olympiajahres die Schweizerin Esperanza Friedli kennen, im Dezember war Hochzeit, im März 1989 zog das Paar in die Schweiz.
Die Eidgenossen hatten plötzlich einen Turner der absoluten Weltklasse. 1996 wurde für Donghua Li als Europameister in Kopenhagen und als Olympiasieger in Atlanta die Schweizer Nationalhymne gespielt. Und so ist er heute der erste Mensch, der je chinesischer Meister, Schweizermeister, Europameister, Weltmeister und Olympiasieger geworden ist. Entsprechend populär ist er in seiner Wahlheimat geworden - dort kennt ihn jedes Kind.
Den Mädels, die ihn am Messestand des STB bei der WM in Stuttgart umringen, gibt er in respektablem Schwyzerdütsch einen Einblick in sein Turnerleben: „Mein Traum als junger Turner war immer, zu Olympischen Spielen oder einer Weltmeisterschaft zu kommen. Ich wollte siegen, und dieses Ziel hat mir geholfen, dass ich nicht aufgegeben habe. Ich wollte Weltmeister werden, egal wie schwierig es sein würde. Es hat 20 Jahre gedauert, mein Ziel zu erreichen. Ich habe es geschafft. Der Turnsport war für mich alles und ich wollte immer auch alles geben.“ Donghua spornt seine jungen Zuhörer an: „ Man kann im Leben durch Sport viel erreichen. Das Turnen ist dazu eine hervorragende Basis.“
Wenn Donghua die Schweizer Mannschaft als Attaché und Botschafter zu den Olympischen Spielen nach Peking begleitet, wird man ihn dort nicht als Fremden empfangen. Denn die Chinesen haben akzeptiert, dass er in der Alten Welt leben will. Er gehört fest zu ihrer Sportgeschichte und sagt selbst mit einem wehmütigen Unterton: „China bleibt für immer meine Heimat“. |