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10.04.2008

Die Weltwoche: 12 Fragen an Donghua Li

«Ich habe die Olympischen Spiele in China immer als Chance gesehen»: Donghua Li.

12 Fragen an Donghua Li


Für den ehemaligen Olympiasieger im Kunstturnen gehen
die Demonstrationen gegen China zu weit. Von Politikern
wünscht er sich mehr Verständnis für sein Herkunftsland.

Herr Li, bei einer Demonstration in Paris ist
die olympische Flamme erloschen. Was dachten
Sie dabei?
Ich war sehr traurig, als ich die Bilder sah.
Vor vier Jahren durfte ich die Fackel selber
tragen. Das war eine grosse Ehre für mich,
und ich habe dabei den Zusammenhalt
der Bevölkerung gespürt.
Verstehen Sie die Wut der Tibeter über den Fackellauf,
der durch ihre Heimat führen soll?
Der ganze Konflikt zwischen China und
Tibet ist sehr kompliziert. Die Reaktion
der Demonstranten geht für mich zu weit.
Auch der Dalai Lama hat sich immer für eine
friedliche Lösung eingesetzt. Solche
Aktionen wie in Paris oder London werden
die Probleme nur noch verschlimmern.
Von Boykottaufrufen an Sportler

Nein. Olympische Spiele sind ein Anlass für
Sportler. Es ist sehr schade, wenn Politiker
dies zu ihren Gunsten missbrauchen.
Zweifelten Sie nie an der Richtigkeit des Entscheids,
die Spiele nach China zu vergeben?
Ich habe die Olympischen Spiele in China
immer als Chance gesehen, um die Kommunikation
mit der Aussenwelt zu fördern.
Die Spiele werden zu einer positiven Entwicklung
und einer Öffnung des Landes
beitragen.
Haben Sie noch viele Freunde in China?
Meine Familien und viele Freunde leben
dort. Natürlich sehen sie die aktuellen Probleme
aus einer ganz anderen Perspektive.
Sie unterschätzen die Komplexität des Problems
genauso wie viele Schweizer.
Was lernten Sie in China in der Schule über
Tibet?

Uns wurde gesagt, dass Tibet ein ganz normaler
Teil von China sei. Das Land mit den
heutigen Grenzen habe seit Hunderten von
Jahren Bestand gehabt. Der Einmarsch in
Tibet 1959 sei bloss ein Befreiungskrieg gewesen.
Damit sind wir aufgewachsen, das
war für uns ganz selbstverständlich. Darum
reagieren die Chinesen heute auch so
empfindlich auf die internationale Kritik.
Vor zwanzig Jahren sind Sie in die Schweiz
gekommen. Hat sich Ihre Meinung über Ihr
Heimatland geändert?
Ich habe sehr schnell gemerkt, dass die
Leute hier anders über China und seine
Geschichte denken. Durch zahlreiche Gespräche
mit Tibetern habe ich gemerkt,
dass das Problem viel komplizierter ist, als
ich es in China gelernt habe.
Wie empfanden Sie das Bild der Schweizer
von China?
Viele Leute haben eine fixe Vorstellung vom
alten China, die nur schwer zu ändern ist.
Dabei hat sich das Land während der vergangenen
Jahre enorm entwickelt. Natürlich
könnten die Fortschritte grösser sein, aber
ein so grosses Land mit 1,3 Milliarden Einwohnern
braucht vor allem auch Stabilität.
Würde China auseinanderbrechen, wären
vielleicht plötzlich 100 Millionen Menschen
auf der Flucht. Stellen Sie sich vor, was dies
für die ganze Welt bedeuten würde.
Wie versuchten Sie dies den Menschen in der
Schweiz zu erklären?
Nach meiner Ankunft in der Schweiz hatte
ich ganz andere Probleme. Ich fühlte mich
jahrelang sehr einsam. In China schauen
die Menschen viel besser zueinander.
Hatten Sie in China je Probleme mit den
Behörden?
Als ich meine Schweizer Freundin heiraten
wollte, musste ich mich innerhalb von drei
Tagen für meine Frau oder meine Turnerkarriere
entscheiden. Ich konnte mich vom
Nationalkader,
meinen Freunden und meiner
Familie kaum verabschieden. Das war
damals wie ein Weltuntergang für mich.
Und natürlich habe ich mich gefragt, warum
die Funktionäre mich vor diese Wahl
stellten.
Was ist in China schöner als in der Schweiz?
Die Anerkennung für Sportler ist viel grösser
als hier.
Und sonst?
Die Schweiz und China sind schwer vergleichbar.
Als ich von meiner Heimat zum
ersten Mal nach Peking fuhr, dauerte die
Zugfahrt über 30 Stunden. Was ich hier
aber am meisten vermisse, ist das chinesische
Gemeinschaftsgefühl. In China leben
alle in grossen Familien und sorgen
füreinander.

Die Fragen stellte Andreas Kunz.
Weltwoche Nr. 15.08
Bild: Urs Bucher (EQ-Images)

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