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07.08.2008

Schweizer Familie: Donghua Li Meister des Spagats

Schweizer Familie Titel Bild Ausgabe 32/08

 

 
Der einstige Spitzensportler Donghua Li zeigt an den Olympischen Spielen in Peking in einer Disziplin sein Können, die er beherrscht wie das Turnen auf dem Pauschenpferd: dem Vermitteln zwischen zwei Welten.

von Lisa Inglin

Warten auf Donghua Li. Wir stehen in Engelberg an der Talstation der Titlisbahnen, doch vom ehemaligen Spitzenturner keine Spur. Dafür ist sein Manager Sacha Willemsen da und beruhigt. Er kennt den chinesisch-schweizerischen Sympathieträger: «Es fällt ihm schwer, Nein zu sagen. Da lädt er sich manchmal zu viel auf und kann die Termine nicht mehr einhalten.» Das Nein-Sagen und Bündeln der Aktivitäten hat nun Willemsens Agentur übernommen. Zwölf Jahre nach seiner Goldmedaille am Pauschenpferd in Atlanta ist Donghua Li immer noch ein gefragter Mann. Er wirbt für verschiedene Marken, macht Showauftritte zum Fördern des Turnsports und pflegt geschäftliche Beziehungen zu China. Seit drei Jahren ist er Attaché des Swiss Olympic Teams und wird in dieser Funktion an die Olympischen Spiele nach Peking reisen. Der Kreis schliesst sich. 1989 musste er, damals chinesischer Meister mit grosser Zukunft, das Land verlassen, weil er eine Schweizerin heiraten wollte. 2008 kehrt er in offizieller Mission und als gefeierter Mann zurück.

Donghua Li in Aktion:

Freundlich, ungeheuer präsent
Ein mit dem Namen Donghua Li beschriftetes Sponsorauto fährt vor, und er steigt lächelnd aus. Er hat seine elfjährige Tochter Jasmin mitgebracht und eine Kollegin - «nicht Freundin!», stellt er klar. Die grazile Jasmin geht an Krücken, sie hat sich beim Spiel den kleinen Zeh gebrochen. Vater Donghua geht auf alle zu und bietet sofort das Du an. Neben seiner Freundlichkeit strahlt er eine ungeheure Präsenz aus. Er ist klein, spricht ruhig und leise und steht trotzdem vom ersten Augenblick an im Mittelpunkt. Es gelingt ihm, gleichzeitig auf alle einzugehen: auf das humpelnde Töchterchen, den Fotografen, die Begleiterin, die Journalistin, Touristen, die ihn kennen - und nebenbei noch ein Mittagessen zu organisieren und den ganzen Begleittross auf den Titlis zu lotsen. Auf den Titlis will er wegen des Buddhas. Das sei seine persönliche Entdeckung, sagt er.

Es war am 6. Januar 1996, als er von der Restaurant-Terrasse aus gegen Osten blickte. Da sah er in der Ferne den Steinbuddha. Wie von einem Bildhauer geschaffen sass er mit gekreuzten Beinen und Mönchskutte auf seinem Sockel. Damals trainierte Donghua Li mit ganzer Kraft für Atlanta, seine letzte Chance auf eine olympische Medaille. Als der Buddha von einem goldenen Strahlenkranz angeleuchtet wurde, wünschte er sich heftig den Sieg - und gewann in Atlanta Gold. Auf der Aussichtsterrasse des kleinen Titlis erzählt nun eine Tafel in Deutsch, Englisch und Chinesisch die Geschichte des Turners und des Buddhas. Und Li, inzwischen bestens vertraut mit den Spielregeln des Kapitalismus, liess kürzlich das Logo «Swiss Titlis Natural Buddha, discovered by Donghua Li» beim Berner Patentamt als geschützte Marke eintragen.

Wie Ausserirdische
«Mein persönlicher Glücksbringer», lächelt er. Buddhismus bedeutet für ihn eine Lebensphilosophie. Im Kommunismus galt die Auffassung, der Mensch sei Gott, es brauche keine Religion. Doch die Tempel waren geöffnet, und seine Eltern nahmen ihn häufig zum Beten mit in einen Tempel. «Alle Güter waren knapp, und es tat gut zu wissen, dass es eine grössere Kraft gibt als den Menschen. Im Tempel spürt man das», sagt Li.

Das China seiner Kindheit war anders als das heutige. Abgeschlossen von der Aussenwelt und vollkommen aufs Kollektiv ausgerichtet. «Man war immer in der Gruppe, es waren immer vier bis fünf Leute in einem Raum.» Als er zum ersten Mal Ausländer sah, bestaunte er sie wie Ausserirdische. «Bei uns hatten ja alle die gleichen Haare, die gleichen Augen - auch die gleichen Kleider, das gleiche Fahrrad, das gleiche Haus», erzählt er.

Der Gruppenmensch wird Einzelkämpfer
Er erinnert sich genau an Maos Tod 1976, da war er acht Jahre alt. Das rote Fahnenmeer und die grosse Trauer im Volk. Es gab keine Kritik. Im Turn-Internat wurde er darauf getrimmt, für China zu siegen. «Man kämpfte nicht für die eigene Person, sondern für die Ehre seines Landes», sagt er. Als er 1989 seiner Liebe in die Schweiz folgte, zahlte er einen hohen Preis: Er verlor alle Privilegien als Spitzensportler und wusste nicht, ob seine Familie für seine Entscheidung bestraft würde. Besonders traurig aber machte ihn, dass er nun nichts mehr für sein Land tun konnte.

Die ersten fünf Jahre in der Schweiz, waren für ihn härter als alles, was er im Internat erlebt hatte. «Ich musste vom Gruppenmenschen zum Einzelkämpfer werden», sagt er. Da er noch nicht eingebürgert war, konnte er nicht in der Nationalmannschaft turnen. Er trainierte alleine, filmte sich selber mit der Videokamera. «Ich hatte Freiheit erwartet im Sinn von vielen Chancen, aber ich fand Einsamkeit.» Heute sei das anders. Er selber habe sich auch verändert, finde sich in beiden Mentalitäten zurecht. Aber die Lovestory mit seiner Frau Esperanza Friedli ging zu Ende. Nach 16 Ehejahren trennte sich das Paar. «Mit der Zeit gehen zwei Menschen verschiedene Wege», sagt er vage. «Jedes Leben hat ein Schicksal bestimmt. Ich nehme es, und versuche, das Beste daraus zu machen.»

Donghua Li führen nun die Wege vermehrt in seine alte Heimat. Leute wie ihn, die lange im Ausland lebten, nennen die Chinesen «Bananen»: aussen gelb, innen weiss. Aber Donghua Li verkörpert etwas Besonderes, er ist einer, der es trotz Hindernissen geschafft hat. Unter den 100 Sportlern, die bisher für China olympisches Gold gewannen, ist Donghua Li einer der populärsten - obwohl er seine Goldmedaille für die Schweiz holte. Millionen kennen seine Geschichte aus Büchern und Dokumentarfilmen: Wie er sich trotz drei furchtbaren Verletzungen an die Spitze kämpfte, alles für die gros- se Liebe aufgab, in der fernen Schweiz ohne Geld und Chancen ganz unten beginnen musste - und schliesslich triumphierte.

Hoffnung auf noch mehr Öffnung
Während der Olympischen Spiele wird er Stargast der grössten Talk-Show im chinesischen Staatsfernsehen sein, einer Sendung mit mehr als 100 Millionen Zuschauern. Es macht ihn glücklich, dass er nun nach fast zwanzig Jahren als Vermittler zwischen seinem neuen und seinem alten Heimatland auftreten kann. Dass er als Botschafter akzeptiert ist und Einfluss nehmen kann. Er wünscht sich, dass seine Landsleute mehr Informationen bekommen, reisen können und dass das Land sich noch mehr öffnet. Darin sieht er die Chance der Olympischen Spiele.

Aber man müsse langsam vorgehen. «Die Stabilität ist wichtig, ein nationaler Konflikt könnte zu Millionen von Flüchtlingen führen», gibt er zu bedenken. Und was dachte er, als der Fackellauf von tibetischen Aktivisten gestört wurde? Donghua Li wägt seine Worte sorgfältig ab. «Die Störung dieses olympischen Rituals machte mich traurig - dieser Protest verbessert für die Tibeter nichts, er war aggressiv und widersprach damit der buddhistischen Philosophie.» Mit Tibet hat er sich stark beschäftigt, bereiste das Hochland vor drei Jahren und hat nun eine viel differenziertere Meinung darüber als früher. Kürzlich organisierte er gemeinsam mit der tibetischen Sängerin Dechen Shak ein Solidaritätskonzert zugunsten der Opfer der Erdbebenkatastrophe seiner Heimatprovinz Sichuan.

Seine ersten dreissig Lebensjahre verbrachte Donghua Li mehrheitlich in Turnhallen. Auch heute trainiert er täglich noch ein bis zwei Stunden. Er will nun aber Neues erleben, seinen Namen einsetzen, um seinem Land zu nützen - seinen beiden Ländern.

Dieser Artikel wurde in der Ausgabe 08/32 der Schweizer Familie publiziert.

 

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