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29.06.2008

Wir werden grossartige Olympische Spiele erleben

NZZ am Sonntag: Der externe Standpunkt

Wir werden grossartige Olympische Spiele erleben

Er war gegen den Boykott und die Proteste beim Fackellauf. Nun ruft der schweizerische Olympiasieger Donghua Li dazu auf, von China zu lernen: Fleiss, Geduld, Gemeinschaftsgefühl.

Am 8. August beginnen in Peking die Olympischen Sommerspiele. Das ist für China ein historisches Ereignis und eine grosse Chance. Eine Chance für die Bevölkerung, den Kontakt mit Leuten aus der ganzen Welt zu pflegen.

Im Vorfeld dieser Spiele wollten einige einen Boykott verhängen. Ich war dagegen, weil die Erfahrungen mit dem Olympia-Boykott 1980 gegen Moskau gezeigt haben, dass er nichts gebracht hat. Ein solcher Boykott löst keine politischen Probleme, sondern schadet nur dem Sport und den Sportlern. Ich finde es auch sehr schade, dass der Fackellauf teils aggressiv und mit Gewalt gestört wurde. Solche Aktionen verbessern die Probleme Tibets nicht. Im Gegenteil: sie verstärken den Hass, die Spannung zwischen Chinesen und Tibetern und erschweren den gemeinsamen Dialog. Zudem hat der Fackellauf nicht nur mit China zu tun, sondern ist Hauptteil der olympischen Bewegung und Idee.

Ganz China, Regierung wie Bevölkerung, haben mit viel Begeisterung und voller Kraft diese Olympischen Spiele in Peking, Honkong, Shanghai und Shandong vorbereitet. Ich gehe jedes Jahr einige Male nach China und habe die grosse Vorfreude gespürt: bei Taxifahrern, bei Verkäuferinnen, bei allen. Ich bin überzeugt, dass es bezüglich der Hardware – Stadien, Hallen, Unterkünfte – kaum Probleme geben wird. Vielleicht könnte es Probleme der Kommunikation, der kulturellen Mentalität, der Differenzen wegen des politischen Systems geben. Aber ich glaube, dass wir grossartige Spiele erleben werden.

Die olympische Idee hat für China eine riesige Bedeutung. Ich bin in China aufgewachsen und habe als 16-Jähriger miterlebt, wie das Land 1984 in Los Angeles erstmals wieder an olympischen Spielen teilgenommen hat. Während der kommunistischen Zeit nach dem 2. Weltkrieg war China nicht mehr Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees. Zudem war das Land jahrzehntelang von der Aussenwelt abgeschirmt. Ich erinnere mich, wie ich als kleiner Bub die wenigen ersten Ausländer wie Menschen von einem fremden Planeten angeschaut habe: sie hatten andere Haare, andere Augen, eine andere Hautfarbe. China hat sich erst in den 1980er Jahren geöffnet. Damals wuchs in mir der Wille, einmal selbst bei diesen Spielen dabei zu sein und Olympiasieger zu werden. So hat die olympische Bewegung mitgeholfen, dass China wieder in die internationale Familie zurückgekehrt ist.

Seit zwei Jahren bin ich Attaché des Swiss Olympic Team. Ich werde ebenfalls nach China mitreisen. Meine Aufgabe ist die Betreuung der Schweizer Delegation, die Mithilfe bei der Organisation und die Pflege von Kontakten zu chinesischen Stellen und Funktionären. Ich werde mit den Athleten im olympischen Dorf wohnen.

Ob man mich in meiner Heimat noch kennt? Es kommt darauf an, ob man dort Zeitung liest, wo ich bin. 1999 ist meine Autobiografie „Die Grenzen durchbrechen“ in China erschienen, in mehreren Auflagen von je zehntausend Exemplaren, mit einem Vorwort von Samaranch und von Adolf Ogi und Nicolas G. Hayek. Mit 19 Jahren wurde ich als junger Hoffnungsträger chinesischer Meister – das ist sportlich gesehen Weltmeisterniveau. Da wurde ich natürlich bekannt, auch schon vorher wegen meiner Verletzungen und dann als ich Ende achtziger Jahre eine Ausländerin heiratete. Das alles war ungewöhnlich und löste Diskussionen aus.

Ich erlitt in meiner Karriere dreimal schwere Verletzungen, die mich jedes Mal beinahe zum Aufgeben gezwungen haben. Mit 16 Jahren verlor ich bei einem Sportunfall die linke Niere und die Milz war mehrfach gerissen – es war damals in China die erste Operation für eine solche Sportverletzung, eine Art medizinischer Test. Der Arzt hat mir später gesagt: die Tatsache das ich nach einer solchen schweren Verletzung wieder in den Spitzensport zurückkehren konnte grenze an ein Wunder. Als ich nach zwei Jahren sportlich wieder auf dem Höhepunkt war, sind mir bei einem neuen Unfall beide Achillessehnen gerissen. Ich wollte aber nicht aufgeben und bereitete mich auf die olympischen Spiele in Seoul 1988 vor. Doch dann stürzte ich vom Barren und habe fast das Genick gebrochen, wollte nur noch sterben. Dennoch habe ich mich wieder erholt. Ich konnte regenerieren, als Ausgleich nahm ich Sprach- und Schauspielkurse, musste aber sportlich pausieren. In jener Zeit habe ich Esperanza kennengelernt, die als Touristin in Peking war. Nach 6 Monaten stellten mich die Funktionäre vor die Wahl: Entweder verbleibe ich in der Nationalmannschaft oder ich heiratete die Schweizerin. Innert drei Tagen musste ich mich entscheiden.

Die chinesischen Medien haben über meine Geschichte berichtet. Auch über meine späteren Erfolge in Atlanta. In China hat man sich sowohl über meinen Weltmeistertitel wie auch über den Olympiasieg in Atlanta 1996 gefreut - ohne jede Feindseligkeit. Hätte ich meine Verletzungen nicht erlitten, wäre mein Schicksal sicher anders verlaufen. Dann hätte ich wohl kaum eine Goldmedaille für die Schweiz gewinnen können.

Wenn die Welt bei den Olympischen Spielen etwas von China mitnehmen möchte, dann vielleicht ein Stück dessen, was die chinesische Mentalität im positiven auszeichnet: Fleiss, Geduld, Gastfreundlichkeit und Zusammengehörigkeitsgefühl.

Aufgezeichnet von Urs Rauber

Box

Donghua Li, geboren 1967 in China, wurde mit 19 Jahren Chinesischer Meister am Pauschenpferd. 1988 heiratete er die Luzernerin Esperanza Friedli und reiste in die Schweiz aus. Nach seiner Einbürgerung wurde er 1994 Schweizer Meister im Mehrkampf und am Pauschenpferd. Ein Jahr später holte er den Weltmeister-, zwei Jahre später den Europameistertitel, 1996 gewann er die Goldmedaille an den Olympischen Spielen in Atlanta. Heute hat Li eine eigene Promotionsfirma, veranstaltet Show-Turnen, verfolgt diverse Projekte in China und ist Attaché von Swiss Olympic Team.

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