Ausgabe vom Dienstag, 19. Februar 2002
Die «Schuld» daran hat Donghua Li
E in minutenlanges Kuhglocken- und Treichelkonzert machte aus dem «House of Switzerland» ein Stück bekannte Heimat. Auf diesen Moment hatte sich Martin Annen schon lange gefreut. Denn nachdem feststand, dass er, der 28-jährige Wirtesohn, und sein Bremser Beat Hefti mit dem Gewinn von Bronze das grosse Ziel einer Olympia-Medaille erreicht hatten, begann für das Duo die Zeit der Pflichtaufgaben.
Interviews, Pressekonferenz, Dopingprobe. Und auch anstrengende Stunden später hatte «Märtel» sein Lächeln nicht verloren. Fotos beim Umarmen seiner Freunde, Fotos beim Schulterklopfen mit seinen nach Amerika mitgereisten Fanklubmitgliedern, Fotos beim Anstossen mit Rotwein, Fotos mit einer Fondue-Gabel, Fotos beim Anstossen mit Champagner. Bis dann der Schwyzer von der zwar schönen, aber halt doch neuen Welt genug hatte und die Fotosession mit den Worten «so Chrigel, Steve und Beat, jetz gömmer aber go habere» für beendet erklärte.
Nicht im Schlussgang
Stunden zuvor, beim «Hosenlupf» mit der Bob-Weltelite, standen mit Pilot Martin Annen und Reichs Bremser Steve Anderhub zwei (ehemalige) Schwinger im Zentrum. Dass Annen den Schlussgang nicht würde erreichen können, stand schon früh fest. Christoph Langen, der spätere Olympiasieger, und Christian Reich hatten die höheren Punktzahlen. Dafür bewies der «Märtel» aus Arth Standfestigkeit, als plötzlich Amerikaner und Kanadier in die Medaillenvergabe eingreifen wollten. «Die Bahn hätte nicht mehr viel länger sein dürfen», war sich Annen bewusst. Das am Start herausgeholte Polster schmolz jeweils bis ins Ziel bedenklich schnell. Am Ende aber hat es zu dem gereicht, was sich Annen/Hefti in den Jahren zuvor erarbeitet und in den Tagen zuvor erträumt hatten. Wiewohl das mit dem Träumen so eine Sache war.
«Ich hatte mir nie vorgestellt, dass ich so nervös sein könnte», sagte Annen, der in der Nacht vor den entscheidenden Läufen ab zwei Uhr früh nicht gerade einen ruhigen Schlaf hatte. Dass es für den «Schlussgang» nicht ganz gereicht hatte, war für Annen/Hefti nicht tragisch. «Hauptsache eine Medaille. Die Farbe ist egal.» Die Genugtuung, dass die Mitfavoriten Lueders (Ka) und Hays (USA) ihnen das «Sägemehl vom Rücken putzen» mussten, ist schliesslich auch eine Auszeichnung.
Annen gehört Zukunft
Annen/Hefti gehöre die Zukunft, darüber war sich kurz nach dem Rennen auch Silbermedaillen-Gewinner Reich sicher. «Langen fährt in der Kategorie über 35-jährig, ich und Steve Anderhub in der Kategorie über 30-jährig.
Martin und Beat sind die einzigen Medaillengewinner, die noch der Kategorie der unter 30-Jährigen angehören.» Annen nahms lächelnd zur Kenntnis, denn er weiss, was Routine in der Bobbahn ausmacht: den Unterschied zwischen Gold und Bronze. Und olympisches Gold ist Annens Traum - spätestens seit 1996. Fünf Jahre zuvor, beim Eidgenössischen Turnfest in Luzern, erhielt der damals 17-jährige «Märtel» den Kategorien-Siegespreis aus den Händen von Kunstturner Donghua Li. Der später eingebürgerte Chinese wurde zum Vorbild. Und als sich Li 1996 in Atlanta Olympia-Gold erturnt hatte, wusste Martin Annen: «Das will ich auch.»
Da Schwingen nicht olympisch ist, musste sich Annen anderweitig orientieren. Im Bob wurde es vorgestern erst einmal Bronze - Gold gibt es in vier Jahren in Turin wieder zu gewinnen.
Und Märtel wird wohl wieder am Start stehen. Mit vier Jahren hinzugewonnener Routine und dem neuerlichen Traum von Gold.
PETER GERBER, SALT LAKE CITY |